Donnerstag, 17. Dezember 2009

Linz verendet

Die Kulturhauptstadtskarawane zieht weiter, ich belle ihr nach. Viertes und letztes '09-Gemosere für die "Streifzüge"

In wenigen Tagen wird sich in einem gloriosen, strahlebunten Feuerwerk die Kulturhauptstadt aus Linz verabschieden. Nun liegt ja der historische Sinn der Silvesterböllerei im Vertreiben böser Geister. So eine Interpretation hat aber Linz’09 nicht not. Denn: Es hat statt fieser Geister viele Gäste nach Linz gebracht. TschiTsching! machen die Registrierkassen.

Der neu geweckte Widerspruchsgeist wird uns Eingeborenen hoffentlich auch noch eine Weile bleiben – bevor die kritische Betrachtung der Kulturhauptstadt wieder zum stadttypischen Gesumpere abflacht.

Wir kritisieren und resümieren, dazwischen kaufen wir noch schnell die Überbleibsel im Linz’09-Shop. Schneekugeln in rosa, oder „Ich war dabei!“-TShirts in hellblau um okkasionelle 5 Euro. Denn am Ende wollen wir dann doch alle dabei gewesen sein, obwohl wir so viel gemault und gejault hatten.

Grund dafür gab es schon. Bis heute zieht sich die Malaise mit dem Linzer Auge durch. Denn es dreht sich doch nicht. Faul dümpelt das als Prestigeobjekt angepriesene Nudlaug’ in den trüben Fluten der Donau. Andererseits! Sollte es nicht zum Mahnmal der revolutionären Anstrengungsvermeidung in Zeiten unannehmbarer Arbeitsbedingungen umgedeutet werden? Es könnte ja jemand „Ich spiel’ da nicht mit!“ draufsprühen, oder „Es dreht sich nicht alles ums Geld“.

Es heißt übrigens, die Intendanz könne der Stadt sogar Geld retournieren. Das hätte die Freie Szene gern. Sie fürchtet, dass die Fördermittel künftig für die Bespielung der neuen, teuren Kulturbetonsärge draufgehen. Das AEC hat’s vorgemacht, als es MitarbeiterInnen „freisetzte“ – letztendlich zugunsten der Funkelfassade. Daran muss sich der Umgang der Stadt mit Linz’09 messen lassen.

Böse Worte müssen auch den Heeresnachrichtendienst treffen. Der hat unter anderem die Kennzeichen der BesucherInnen des Linz’09-Projekts Subversivmesse aufgeschrieben und ausspioniert. Könnte ja einer der Clownsrebellen einem FP-Politiker defaitistisch eine lange Nase drehen und damit dessen religiöse Gefühle verletzen. Was für eine Bestätigung der Veranstalter! „Auch wenn ich paranoid bin, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht trotzdem verfolgt werde.“ Mit Ihrem Steuergeld, falls jemand noch ein Argument braucht, um sich über solche Machenschaften zu echauffieren.

Apropos überwacht: Scharf ist das Linzerauge des Fahrscheinkontrollors. In der Bim wird so lückenlos kontrolliert wie nie zuvor. Ob das wegen der vielen potenziell zahlungsunwilligen KulturfolgerInnen passiert? Bei 11 Prozent mehr Gästen müssen doch auch schwarze Schafe zu scheren sein. Diese Form der öffentlichen Verkehrsmittelbewirtschaftung ist schlicht und ergreifend unsympathisch.

Für übermotivierte Schwarzkappler und untermotivierte Schwimmplattformen kann die Organisation von Linz’09 wirklich nichts. Wir wollen sie jetzt auch nicht mehr dögeln, denn das nahende Ende unseres Kultur-Sonderstatus macht uns milde, ein bisschen wehmütig sogar.

Ja, es gab nicht wirklich einen roten Faden im Programm. Ja, viele Projekte wurden nie realisiert. Ja, die `09er agierten zum Teil hochnäsig und umständlich. Aber: Etliches, wie etwa das gelbe Bellevue über der Autobahn, das Haus der Geschichten, der Keplersalon, die Subversivmesse, der kranke Hase etc., war gut. Sehr gut sogar. Es war angenehm, ein wenig mehr internationale Aufmerksamkeit zu bekommen als üblich, klar. Auch wenn es oft Schelte für die am Ende doch nicht wirklich pulsierende Stahlstadt gab. Immer nur her damit, wir haben ja auch selbst gescholten und werden das weiter tun.


http://www.streifzuege.org/2009/kulturhauptstadt-linz-verendet#more-5709

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Bildung im öffentlichen Verkehr

Hier ein Originaldialog aus der Bim in Linz, Auwiesen ("LA"), die Gesprächspartner halten illustrative Bierflaschen in der Hand:

"Slowenien is jo in da Tschechei!"
"Wous?"
"Ah, in Jugoslawien, hob' i gmaant."
"Ts. Üwa Geschichte redn ma moang weida."
"Geographie, maanst."
"Genau, woit i eh sogn."

Montag, 14. Dezember 2009

IC "Scheiß ÖBB" voraussichtlich 35 Minuten verspätet

Vorweihnachtlicher Privatkonkurs, Lichtinsuffizienz, Schneematsch im Schnürstieferl oder Dämonen in der Therme - der Winter kennt viele Arten, uns zu necken. Hier in der schwindenden Kulturhauptstadt können uns diese klimatischen Missstände aber nicht an. Kurios eigentlich, denn nirgendwo sonst ist der Winter grauslicher und unnötiger als im Zentralraum.
Das Geheimnis unserer kontrafaktischen Fröhlichkeit: der weltschönste Bahnhof von Österreich.

Einst war der Linzer Bahnhof ein schmieriges Transportabfertigungskombinat, in dem man wenig zwischen Zuckerrüben und Geschäftsreisenden unterschied. Menschen mit gesplissenen Haarspitzen und dreckigen Fingernägeln lungerten in unmodischer Kleidung neben den rostigen Gleisen und murmelten adjektivgespickte Sätze.

Heute: Eine Reisewohlfühloase in futuristischer Transparentarchitektur, die uns für einige Stunden die transzendentale Obdachlosigkeit des postmodernen Subjekts vergessen lässt. Die musikalische Tapete kommt nicht mehr vom Band, sondern wird von den Zugbegleitern nach deren Dienstschluss mundgeblasen.

Charmantes Dienstpersonal in gutsitzenden Uniformen achtet darauf, dass die Passagiers-Aspiranten adrett gekleidet sind und gängigen westlichen Schönheitsvorstellungen entsprechen. "Uns ist wichtig, dass die Kinder gesunde Zähne haben", sagt Thomas Philipp, Leiter der Abteilung Aesthetic Human Interior Engineering der ÖBB. Wesentlich für das Gelingen des öffentlichen Raumes sei auch das Commitment der Nutzer. "Schiache Leute sollten lieber erst in Attnang Puchheim zusteigen", präzisiert eine Dame am Info-Schalter im VIP-Lounge-Bereich.



Ein großes Problem haben die ÖBB in Linz erstmals gelöst. Dank ausgefeilter logistischer Systemoptimierungen können Zuckerrüben endlich ohne Verzögerung von Alkoven nach Wien West oder Paris und Venedig transportiert werden:

90 Prozent der Plätze im neuen, superschnellen Railjet sind den Rüben vorbehalten, Passagiere dürfen nur mit einer kostenpflichtigen Reservierung einsteigen.


"Klar kann es durch die dadurch entstandenen Verspätungen für Menschen zu leichten Frustrationserlebnissen kommen", erklärt der hauseigene Mobilitätberater Boris Dures, ehemaliger usbekischer Infrastrukturminister. "Dafür ersuchen wir um Ihr Verständnis."

Sehr gut angenommen wird das Angebot, Namen für einzelne Linien zu kaufen. "Wiener Einkaufstraßen" rangiert auf der Hitliste ganz oben, deutlich vor dem zweitgereihten "Erlebnis Demokratie", deren Ergebnis die ÖBB ja letztendlich sind.

Die Redaktion der Lebensbeichte konnte der Versuchung nicht widerstehen und investierte den Marketing-Etat 2010 jetzt schon in den Erwerb eines Zugnamens. Er ist in der Überschrift dieses Beitrags versteckt.